Religion heute

1. Juni 2014

Von Trost und Trauer

Filed under: Predigten — Dieter Koch @ 10:35
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Liebe Gemeinde, schon beginnt das Weihnachtsfest zu verglimmen. Die herrlichen Tage scheinen vorüber. Wo sind sie geblieben, die schönen Stunden unterm Weihnachtsbaum? Der Duft der Kerzen, der Glanz der Vespern und Metten, das Wort vom Frieden, vom großen Frieden, von Gottes Frieden.

Weihnachten, das ist Einkehr in eine Tiefenzärtlichkeit, das Fest einer Güte, die wir suchen, nach der wir uns sehnen, und die doch nicht so ganz von dieser Welt ist. Die Friedenszeit geht zu Ende. Bußgeldbescheide werden wieder ausgestellt. Die Weihnachtsliederhefte werden eingelagert, in nicht ganz 360 Tagen da wird es wieder wahr: Heut schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis. Doch die Tage davor, da leben wir nicht im Paradies, nicht im Duft der Kerzen, nicht im Glanz der Krippe, da klopft er wieder an, der Streit der Welt, der Hader, die Zänkereien, das Scheitern an sich selbst. Da müssen wir durchhalten. Da ist Maloche angesagt, Stress und nochmals Stress. Da läuft es manchmal rund, manchmal auch nicht. Was stärkt inmitten der Anforderungen des Lebens, was tröstet inmitten der Schmerzen der Zeit? Es ist der Geist der Kraft, der Liebe, der Besonnenheit. Es ist Gottes Geist mitten in dieser Welt. Wo sein Geist waltet, da wächst der Glaube auf, da hält die Liebe durch, da stärkt die Hoffnung. Wer weist uns in Gottes Geist? Das Evangelium, die Predigt von Jesus Christus, das Festhalten am göttlichen Wort: Ehre sei Gott in der Höhe, Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Da muss, da wird doch was nachhallen, 360 Tage lang, bis es wieder Weihnachten ist.

Gott die Ehre geben, Ehrfurcht buchstabieren, sich immer neu auf Gott wenden, wie Jesus es tat.

Frieden auf Erden, Versöhnung teilen, der Vergebung das Wort reichen, wie Jesus es tat.

Den Menschen ein Wohlgefallen, sie in der Gnade sehen und gnädig miteinander umgehen, wie Jesus es tat.

Tag um Tag lernen, sich stärken zu lassen, aus inneren Kraftquellen zu leben, was hilft dazu? Was ermutigt, was tröstet wirklich? Denn um Trost geht es, wenn es um Stärkung im Geist des Evangeliums geht. Trost ist wahre Stärke, Tröstung die eigentliche schmerzstillende Gabe. Man mag manches aus Weihnachten für sich herausschlagen, die eigentliche Goldader im weihnachtlichen Geschehen ist, dass da einer uns geschenkt wurde, der Blinde sehend machte, Tauben die Ohren öffnete, Lahme wieder ins Gehen brachte, Zerschlagene aufrichtete, dass da einer uns geschenkt wurde, der Menschen ins Heil zurückbrachte, Er, unser Heiland, Jesus!

Wie oft sind wir blind, sind die Augen gebrochen, können wir nicht mehr hinschauen. Wie leicht sind wir taub im Gewirr der Worte, klingt alles dumpf und so unendlich belanglos und wir selber mit. Wie schnell geben wir uns auf, lahm an Haupt und Gliedern, ohne Hoffnung, ohne Esprit, ohne Ziel. Zerschlagene. Die inneren Wunden bluten, auch wenn an der Oberfläche alles gut scheint. Hoffnung ist ein schales Wort: Was soll man noch erwarten, wenn das Alter kommt und die Beschwer und die Müdigkeit? Was darf ich erwarten mit meinem Schulabschluss, mit meinem Universitätsdiplom? Feste Stellen gibt es nicht im Überfluss. Wem kann ich noch vertrauen, mit wem gar einen Lebensbund eingehen, eine Familie gründen, in einer Welt, die alles austauschbar macht, Liebe zu Liebeleien banalisiert? Wir sind unendlich hungrig nach Trost, aber gibt es ihn, kann es ihn überhaupt geben? Machen jedenfalls kann man ihn nicht! Leerer Trost tut weh, falscher Trost verletzt, bloßes Wortgesäusel, unehrlich dahin gesprochen enttäuscht. Da ist kein Licht am Horizont.

Um Trost geht es, wenn es um Stärkung im Geist des Evangeliums geht. Aber wo Trost angesagt ist, da ist Trauer da! Es ist wichtig, sehr wichtig sich der Trauer zu stellen. Man kann vor ihr nicht davon rennen. Man muss den Mut haben sich ihr zu stellen, mitten in sie hineinzugehen. Die Trauer über den Verlust, die vielen Verluste im Leben. Wer davon rennt, wird atemlos. Nur wer anhält, kann wieder atmen lernen. Der Sturm zieht vorüber. Wunden brauchen Zeit, brauchen Liebe, viel Liebe, um zu heilen. Innere Wunden heilen nur, wo die Liebe zu sich selber wieder lebendig wird. Diese Liebe können wir nicht machen, die kann nur Gott uns schenken, in uns im Walten seiner Gnade wieder aufleben lassen.

In einer Erzählung der kanadischen Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2013, Alice Munro lesen wir: “An einem Tag im Februar stand Juliet nach Arbeitsschluss am späten Nachmittag im Wartehäuschen der Bushaltestelle… Der stundenlange Regen hatte aufgehört, im Westen war ein Streifen klarer Himmel zu sehen, rot dort, wo die Sonne untergegangen war, draußen hinter der Meerenge von Georgia. Dieses Zeichen der wieder länger werdenden Tage, diese Verheißung einer neuen Jahreszeit, hatte eine Wirkung auf sie, die unerwartet und niederschmetternd war. Ihr kam zu Bewusstsein, das Eric tot war. Als hätte er die ganze Zeit über, seit sie in Vancouver war, irgendwo auf sie gewartet, hätte abgewartet, ob sie ihr Leben mit ihm wieder aufnahm. Als wäre das Zusammenleben mit ihm eine Möglichkeit, die ihr immer noch offenstand. Seitdem sie hier war, hatte sie stets mit Eric im Hintergrund gelebt, ohne je ganz zu verstehen, dass Eric nicht mehr da war. Nichts von ihm war mehr da. Die Erinnerung an ihn zog sich aus der normalen Alltagswelt zurück. Das also ist Trauer. Sie fühlt sich, als sei ein Sack Zement in sie hineingekippt worden, der rasch zu Beton aushärtet. Sie kann sich kaum bewegen. In den Bus einsteigen, aus dem Bus aussteigen, eine halbe Querstraße weit zu ihrem Haus gehen (warum wohnst sie da?) ist, als müsse sie einen Steilhang erklimmen“(Tricks,S.168) und alles vor allen verbergen. Das also ist Trauer und was ist Trost?

Was bringt wieder zu Atem, denn das meint die Bibel mit Trost, wieder zum Atmen kommen? Wohlwollende Begleitung, Seelsorge, offene Herzen. Ehrliche Anteilnahme, Beten in der Stille, Beten in das Schweigen hinein, bis aus der Stummheit ein neues Wort auftaucht. Wissen um die geistigen Kraftquellen: „Mit kleinen Schritten, gemessen, gemessen, die Strecke Weges, die schwierig ist, gehen. Das Schöne erinnern, das Schlechte vergessen, und schweigend die Zeichen der Hoffnung verstehn… Sei sanft, wenn du kannst, das Leben ist sowieso hart und schwer…. Wenn wir uns nicht Liebe geben, uns umfangen und uns erheben, betonieren sie uns ein“, lesen wir bei der Dichterin Eva Strittmatter. Ein Ressourcenkoffer beginnt sich zu füllen, die Kraftquellen des Herzens.

Über ein Jahrzehnt war ich in der Notfallseelsorge. Wir kamen oft, sehr oft, mitten in die Einschlagszonen des Schicksals, viele überraschende Tote, Schock und Schmerz. Wir hatten einen Koffer bei uns mit einer Kerze, der Bibel, Süßes zur Stärkung, einem Teddy für die Kinder, einem Stadtplan und einem Telefonbuch mit zahlreichen Vermittlungsmöglichkeiten für Hilfen danach. In der Situation aber hatten wir nur uns, und unseren inneren Ressourcenkoffer: den Mut zu beten, die eigenen unvergänglichen Sinnerfahrungen, einen Schatz guter Worte, die Psalmen, eine innere Melodie, aus Schätzen der Musik gewebt – und die Hingabe an Jesus. Und aus diesem inneren Ressourcenkoffer kam uns Zeit zugute, Bereitschaft zum Teilen, zum Hören, zum Schweigen, zum langsamen Erinnern, bis die Musik der Seele wieder erklang in den Zerschlagenen und ein Mensch wieder anfing, in allerersten Schritten sich wieder aufzurichten, Mensch zu sein, mit Trost in der Trauer, nicht an der Trauer vorbei, aber mit dem Trost Wissen um das Licht. Selten war ich Jesus näher als in diesen Stunden: Gott die Ehre geben, Ehrfurcht buchstabieren, sich immer neu auf Gott wenden, wie Jesus es tat. Frieden auf Erden, Versöhnung teilen, der Vergebung das Wort reichen, wie Jesus es tat. Den Menschen ein Wohlgefallen, sie in der Gnade sehen und gnädig miteinander umgehen, wie Jesus es tat und dann sich und alles Jesus in die Hände geben.

Predigt zu Römer 16,27 am 5.1.2014

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