Religion heute

23. Dezember 2023

Hagar am Brunnen

Filed under: Predigten — Dieter Koch @ 07:35

Predigt zur Jahreslosung 2023 1.1.2023 Ev. Kirche Beinstein

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1.Mose 16,13).

Dieses Wort uns als Jahreslosung anvertraut, stammt aus einer uralten Geschichte. Sie handelt von Hagar, Sara und Abraham. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt, beide werden sie die Mütter zweier großer Söhne werden, Isaak und Ismael. beide werden sie die Urahninnen großer Völker sein, Israel und die arabischen Stämme. Sie sind vereint und getrennt zugleich um Abrahams wegen, ihrem Mann und ihrem Herrn. Abscheu wächst zwischen Ihnen, doch ein Bote weist Hagar den Weg, 3 Boten werden Sara das Lachen wiederbringen.

Da ist ein Gott, der sie sieht, der auf sie schaut, der ihnen nachgeht – und überraschend geht jeder von ihnen eine Tür ins Leben auf. Sara, weit vorangeschritten wird überraschend doch noch Mutter werden. Isaak wird ihr Augenstern sein und Hagar? Wie steht es um sie, der an einem Brunnen mitten in der Wüste ein Licht aufgeht. Eine innere Gewissheit überkommt sie, ein unerwartetes Geschenk, das ihr die Zukunft öffnet: Gott wird sie in ihr eigenes Leben führen, weg von Sara, Ismael wird ihr Augenspiel sein, ein Held, ein jugendlicher Draufgänger, ein Bogenschütze, dem Wildesel gleich, schlicht ein Kerl, der`s draufhat, ihr Sohn. Immer, wenn sie später an diesen Brunnen denkt irgendwo zwischen Kadesch und Bered,,tief im Südland, wo die Steppe Kilometer um Kilometer weiter in die Wüste übergeht, dann ist ihr alles wieder wie damals: Du bist ein Gott, der nach mir sah, der nach mir sieht, in dessen Blick ich auch in die kommenden Zeiten gehen darf.

Wie alles begann? So schlicht und klar lautet der Satz: Ein Mann schlief mit einer Frau und sie wurde schwanger. Der Mann hier ist Abraham, auch nicht mehr der Jüngste, die Frau Hagar. Sie ist die Magd Saras, seiner anvertrauten, legitimen Frau. Er schläft mit Hagar. Hat die Lust ihn überkommen? Hat er sie einfach genommen? Wollte sie auch oder ließ es nur geschehen? War da Liebe im Spiel oder nur Trieb? Hagar aber wird schwanger. Jetzt hat sie ihn in der Hand, jetzt steigt sie bei ihm auf, jetzt gehört ihr die Rolle an Abrahams Seite. Sara, ich bin die Seine, du hast ausgedient. Alte Männer, junge Dinger mag man denken. Kommt gar nicht so selten vor. Und so spannt sie sich weit auf und will vor aller Welt ihn – Sara ciao!

Doch eines weiß sie nicht: Sara hatte alles eingefädelt, Abraham heiß gemacht auf Hagar. Sara hatte alles durchgeplant, denn ihr Ziel heißt: Er wird mir mit ihr ein Kind machen Endlich werde ich ein Kind in meinen Armen wiegen. Dieses Kind gehört mir allein. Hagar ist nur eine Magd, gebraucht, missbraucht als Leihmutter. Wenn da Gefühle mit hineinkommen sollten, dann müssen diese schnell ausradiert werden. Sara sieht auf Hagar: Mit der können wir es machen. Hagar sieht auf Sara. Die Alte, die werd ich ausstechen und Abraham? Er sieht auf beide, beide sind ihm recht.

Nur alle drei sehen nicht, noch nicht, den, der aus so viel Menschen Gebandel und Gehändel etwas Neues werden lässt, der auf den krummen Linien menschlicher Gefühlskomödien und -tragödien gerade schreibt. Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf, Doch ich will sie nicht schlagen, sondern retten, und wenn ich sie richte, dann um sie aufzurichten, heißt es Kapitel zuvor (8,21) und am Ende dieses großen Erzählwerks, das wir die Genesis nennen oder das 1. Buch Mose hören wir einen Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs, den klugen und weisen Joseph zu seinen Brüdern sagen: Ihr gedachtet es böse zu machen, Gott gedachte es gut zu machen (50,20).

Da sind sie auch hier, die bösen Gedanken, die falschen Gefühlen, Ränke und Intrigen. Was Sara und Hagar verbindet und zugleich trennt, ist ihre zerstörerische Rivalität um Abraham. Doch Sara sieht Recht und Herkommen auf ihrer Seite. Was sie sich ausgedacht hat, war, so falsch es war, zugleich rechtlich abgefedert damals und so gelingt es ihr mit allem Anstand ihrer „Ehrenstellung“ Hagar, wie die ob ihrer Schwangerschaft aufzutrumpfen beginnt, recht, regelgerecht zu kujonieren. Sie mobbt sie, sie piesackt sie, sie verhöhnt sie, sie macht sie die Magd zur Sklavin ihres Tuns. Hagar, weil Abraham, wie beim Sex so auch jetzt beim Abservieren der Hagar gehorsamst mitmacht (schließlich so könnte es ihn dünken, komme er so ganz und gut aus der Sache: Ein Mann schläft mit einer Frau und die Gott sei’s geklagt wird auch noch schwanger) hat keine Wahl mehr: Sie muss fort, fliehen muss, sie, soweit auch nur ihre Füße sie tragen. Da wird eine ausgespien, an der man seine Lust hatte, weil das Spiel irgendwie doch nicht glatt lief. Da wird eine ausgetrieben, ohne dass man ihr ausdrücklich Haus und Hof versagen muss. So begegnet sie uns nun, in das Schicksal einer Alleinerziehenden gehend, mitten in Wüstengegenden an einem einsamen Brunnen.  Wasser gibt es hier, Wasser des Lebens, dazu kommt das Wort des Lebens. Ein Bote spricht sie an Woher? Wohin? Der Bote wird ihr Schutzengel und Hoffnungshorizont. Er sieht die Frau in ihrer Not, öffnet sie für eine noch unbekannte Zukunft. Hagar, du wirst leben und dein Kind wird groß werden, stark, einer, der es mit jedem aufnimmt. Eine Gedemütigte wird aufgerichtet. Gott sieht die, die zerschlagenen Herzens sind und ersieht ihnen neues Leben. Gesehen werden, Angesehen werden, Angesehen sein – Einander neu sehen: Du bist ein Gott, der mich sieht, der nach mir schaut. Ich beginne auf dich zu schauen, der Du auf mich schaust, Gott des Lebens, allmächtig, barmherzig, geduldig und von großer Güte.

Es sind Augengeschichten, die unser Leben wesentlich prägen. Wer sieht wie auf mich? Gütig oder böse, wohlwollend oder gierig? Wer frisst mich mit seinen Augen? Wer schenkt mir ein Augenlächeln? Schaut denn überhaupt einer nach mir, liebend, fürsorglich, zugewandt oder gibt es nur die kalten Blicke gegeneinander wie in Ernest Hemingways Meistererzählung „Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber“. Er schildert ein von übergroßem Reichtum gezeichnetes Ehepaar, dessen Verbindung von Grund auf haltlos und lieblos ist. Diese Geschichte ist ein großes Augenspiel. Aber es sind Augen, die den andern herabsetzen, und verraten. Die harten, erniedrigenden Augen der Frau sind von einem Geist der Berechnung bestimmt, dass es einem den Atem raubt. Francis Macomber wird immer aufs Neue von diesen Augen getrieben, sich zu beweisen, sich als Held darzustellen, und wird doch gnadenlos abgestraft. Er wusste nicht, was seine Frau empfand, als er auf der Safari, zu der sie beide in Afrika waren, an einem Löwen scheiterte. Er wusste nur, dass er für sie erledigt war. Er war schon häufiger für seine Frau erledigt gewesen. Diese Frau zögert nicht, ihn noch in der Nacht zu betrügen und konfrontiert ihn schonungslos mit seinem Versagen. Am nächsten Tag, abgrundtief aufgereizt, sucht er sich zu rächen, sich an einem Büffel zu bewähren. Trotziger Wagemut überkommt ihn, eine betörende Furchtlosigkeit, mit der er der Angst vor dieser Frau, der Angst vor ihren Augen zu entkommen sucht. Er trifft auf Büffel, er schießt, es scheint gut zu gehen, aber der erste Büffel ist nur angeschossen. Immer im Augenschein dieser kalten Frau gilt es den Büffel ganz zu erledigen. Er folgt ihm ins Unterholz, schaut dem Tier in die Augen, das in tierhafter Wut ihm entgegenrast. Schießt und schießt auf den näherkommenden Kopf, sieht die kleinen, bösartigen Augen, schießt und fühlt einen plötzlichen, weißglühenden, blendenden Blitz in seinem Kopf explodieren – und das war alles, was er noch fühlte. Macomber erstarrt zunehmend unter dem entwertenden Blick seiner Frau. Seines Zutrauens beraubt, scheitert er und stirbt im Ansturm des Büffels.

Welche Geschichten setzen wird dagegen, Geschichten von Gottes Spuren mitten in unserem Leben?

Wie gut, wenn ein liebendes Auge uns trifft und aufrichtet, wenn uns ein Lächeln beglückt, und sich die Tore auftun, in eine Welt, in die hinein es sich zu gehen lohnt, eine Welt, in die mir mit Freude treten, weil wir einander zu spüren geben: „Es gibt dich, weil Augen dich wollen, dich ansehen und sagen, dass es dich gibt.“ (Hilde Domin) Es gibt dich, weil Gottes Augen dich wollen, dich ansehen und sagen, dass es dich gibt. Sei mir ein Gott, der mich sieht!

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